Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und der Schutz der Umwelt sind wichtige Anliegen, die im Einklang miteinander stehen sollten. Auch wenn es oftmals als Dilemma scheint, gibt es verschiedene Ansätze, um bezahlbaren Wohnraum und ökologische Nachhaltigkeit in Balance zu bringen. In Zeiten des Klimawandels und der Wohnungsnot – vor allem in den Städten, aber auch angesichts der Ressourcenknappheit und der hohen Preise können und dürfen wir es uns nicht leisten, Wohnbebauung und Ökologie getrennt voneinander zu betrachten. Hierfür bedarf es faktenbasierte Lösungen und eine ganzheitliche Herangehensweise, ebenso wie Offenheit, Vertrauen in das Know-how von Expert:innen und den Mut, Altes zu überdenken und Neues zu wagen. Nur so können wir langfristig eine nachhaltige und gerechte Stadtentwicklung gewährleisten.
Eine nachhaltige Stadtentwicklung bringt umweltpolitische, soziale und wirtschaftliche Aspekte in Einklang und schafft lebenswerte, zukunftsfähige Räume, die den Bedürfnissen aller Bewohner:innen gerecht werden.
In diesem Zusammenhang gibt es viele Fragen, auf die Cengiz Sahin, Sanitär-, Heizungs- und Lüftungsbaumeister/Sachverständiger für Gebäudetechnik und Sprecher für Energie, Bau, Stadtentwicklung & Wohnungspolitik Antworten hat.
FAQ:
- Wie weit darf Verdichtung gehen bzw. ist Verdichtung die Antwort auf den Wohnungsmangel?
- Inwieweit ist eine Umwidmung von leerstehenden Gewerberäumen/-gebäuden in Wohnraum möglich?
- Wie effektiv könnte der Ausbau von Dachböden sein?
- Wenn Wohnungen in Nürnberg gebaut werden, dann muss sich die Stadt oft den Vorwurf anhören, dass der Bau nur Investor-getrieben und die Wohnungen entsprechend teuer sind – inwieweit ist diese Behauptung richtig?
- Welche Raumplanung ist nötig, um ein zukunftsorientiertes Wohnen gewährleisten zu können?
- Welche Baumaterialien können verwendet werden, um einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck zu erzeugen?
- Thema Kaltluftschneise: Wie können diese im Wohnungsbau mitgedacht werden?
- Wie weit können wir in die Höhe bauen und warum ist das sinnvoll?
Wie weit darf Verdichtung gehen bzw. ist Verdichtung die Antwort auf den Wohnungsmangel?
Verdichtung ist ein komplexes Thema. Allgemein gibt es kein einheitliches Maß für die ideale Verdichtung, da jede Stadt ihre eigenen spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen hat. Deshalb sind bei der Neuplanung stets verschiedene Faktoren wie die vorhandene Infrastruktur, der Wohnraumbedarf, die Verkehrsbelastung, eine gerechte Mobilität, Umweltfaktoren, soziale Auswirkungen, Erholungsräume etc. zu berücksichtigen.
Wo es möglich ist, sind vorhandene brachliegende Flächen zu revitalisieren, statt Wiesen, Äcker etc. neu zu versiegeln. Gleichzeitig müssen auch der Erhalt von Grünflächen, die Lebensqualität der Bewohner:innen und weitere soziale, ökologische, infrastrukturelle Aspekte berücksichtigt werden.
In vergangener Zeit haben die Proteste gegenüber Neubaugebieten stetig zugenommen. Wenn Wohnungen benötigt werden, diese aber unter anderem von der bereits ansässigen Bevölkerung abgelehnt wird, dann stellt sich die Frage, welche Alternativen es gibt. Neubau-Verbot oder eine weitere (kaum mehr mögliche) Verdichtung in der Innenstadt ist keinesfalls die Lösung. Denn es ist auch ein Gebot der Fairness und des rücksichtsvollen Miteinanders, allen Bürger:innen ein adäquates Wohnen zu ermöglichen. Natürlich auch immer mit wachem Blick auf Natur- und Artenschutz.
Für die Planung und Umsetzung von Nachverdichtungsprojekten ist eine gute Zusammenarbeit der einzelnen Referate nötig, um eine bedarfsorientierte, nachhaltige Stadtentwicklung zu gewährleisten.
Im 2006 aufgestellten Flächennutzungsplan hat die Stadt ihre Visionen für die Zukunft festgeschrieben.
Inwieweit ist eine Umwidmung von leerstehenden Gewerberäumen/-gebäuden in Wohnraum möglich?
Generell weist Nürnberg einen geringen Leerstand auf: Laut Wohnungsmarktbeobachtung 2021 lag die Leerstandsquote im Wohnungsbestand bei 1,8 Prozent. Entsprechend „unterstreicht dies die angespannte Situation auf dem Nürnberger Wohnungsmarkt“. Bei den Büroflächen lag die Leerstandsquote im Jahr 2022 bei 4,9 Prozent (Statista.de)
Eine Umwandlung von Gewerberäumen in Wohnungen ist in Einzelfällen zwar möglich, allerdings ist dies mit einem sehr hohen Planungsaufwand verbunden, da nicht nur die Typologie, sondern auch die gesamte technische Infrastruktur des Gebäudes angepasst werden muss.
Wie effektiv könnte der Ausbau von Dachböden sein?
Der Ausbau von Dachböden birgt große Herausforderungen – insbesondere im Hinblick auf die technische Infrastruktur. Jeder Einzelfall muss hier individuell und präzise geprüft und auch während des Baus von Expert:innen begleitet werden. Im Bestand ist der Dachboden-Ausbau generell mit einem hohen Planungsaufwand und einer umfangreichen baulichen Begleitung verbunden. Diese Umständen machen einen Dachbodenausbau sehr teuer – bei vergleichsweise geringem Ertrag von nur ein bis zwei Wohnungen.
Wenn Wohnungen in Nürnberg gebaut werden, dann muss sich die Stadt oft den Vorwurf anhören, dass der Bau nur Investor-getrieben und die Wohnungen entsprechend teuer sind – inwieweit ist diese Behauptung richtig?
Der Wohnungsbau wird von einer Vielzahl von Akteur:innen vorangetrieben, darunter Investoren, Bauträger, gemeinnützige Organisationen, staatliche Stellen und individuelle Bauherren. Sicherlich spielen Investoren eine wichtige Rolle, da sie das Kapital bereitstellen, um den Bau von Wohnungen zu finanzieren. Allerdings gibt es auch andere Faktoren wie staatliche Vorschriften, Nachfrage, verfügbares Bauland und Bauvorschriften, die den Wohnungsbau beeinflussen.
Dank des Baulandbeschlusses und städtischer Wohnungsbauunternehmen wie der wbg hat die Stadt hier jedoch eine gute Basis, um Wohnraum für alle Nürnberger:innen schaffen zu können.
Welche Raumplanung ist nötig, um ein zukunftsorientiertes Wohnen gewährleisten zu können?
Am Anfang muss eine bedarfsorientierte, sparsame Grundrissplanung stehen, die nicht nur den tatsächlichen Anforderungen, sondern auch den Wünschen der Nutzer:innen entspricht. Es gilt, funktionale und komfortable Räume zu schaffen, bei denen Raumnutzung und Energieeffizienz im Vordergrund stehen. Beispiel hierfür wäre die Kombination von Schlafraum, Arbeitszimmer und Wohnraum, gemeinsames Wohnen oder Clusterwohnungen, bei der jede:r Bewohner:in ein eigenes Zimmer hat, die Küche aber gemeinsam genutzt wird. Durch die Vermeidung von überflüssigen Flächen können Materialien und Energie eingespart werden
Insgesamt zielt eine bedarfsorientierte sparsame Grundrissplanung darauf ab, einen funktionalen und nachhaltigen Raum zu schaffen, der sowohl den Bedürfnissen der Nutzer als auch den ökonomischen und ökologischen Anforderungen gerecht wird.
Welche Baumaterialien können verwendet werden, um einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck zu erzeugen?
- 1. Holz: Als nachwachsender Rohstoff, der bestenfalls aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammt, verfügt Holz über eine hohe Energieeffizienz sowie gute Wärmedämmungs-Eigenschaften.
- 2. Lehm: Lehm ist ein natürlicher Baustoff, der in vielen Regionen reichlich vorhanden ist. Er ist nicht nur nachhaltig und feuchtigkeitsregulierend, sondern sorgt zudem für ein gesundes Raumklima.
- 3. Stroh: Als Nebenprodukt der Landwirtschaft können Strohballen als Bausteine verwendet werden und bieten eine gute Wärmedämmung.
- 4. Recyclingbaustoffe: Durch das Recycling von Materialien wie Beton, Ziegelsteinen oder Metallen können neue Baustoffe hergestellt werden. Dies reduziert den Bedarf an neuen Rohstoffen und verringert die Abfallmenge. Hinzu kommt, dass recycelte Baumaterialien auch im Hochbaubereich mit hohen Statik-Anforderung eingesetzt werden kann.
- 5. Gründachsysteme: Begrünte Dächer und Fassadenbegrünung bieten Vorteile wie verbesserte Wärmedämmung, Regenwasserrückhaltung und Schutz vor UV-Strahlung.
- 6. CO2-Bilanz der Baumaterialien: Damit Bauen möglichst ressourcenschonend ist, werden nicht nur nachhaltige Baumaterialien und Baustoffe benötigt, sondern es muss zugleich der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet werden, um seine CO2-Bilanz zu ermitteln: Dies betrifft den Bau und Betrieb, sowie die Entsorgung oder Wiederverwendung von Baustoffe – aber auch die Baustoffherstellung, denn insbesondere die Herstellung von Beton, Stahl oder Ziegel ist mit erheblichen Emissionen verbunden. Nicht zu vernachlässigen sind der Bauprozess und Transport der Baumaterialien. Hier tragen eine effiziente Logistik und die Verwendung von lokal verfügbaren Materialien ebenfalls zur Verbesserung der CO2-Bilanz bei.
- 7. Energieeffizientes Bauen, nachhaltige Instandhaltung, Recycling oder ordnungsgemäße Entsorgung von Baustoffen: Ein ebenso wichtiges Thema stellt der Energieverbrauch eines Gebäudes während seines Betriebs dar. Diesen erheblichen Einfluss auf die CO2-Bilanz müssen wir fest im Blick haben. Hier bedarf es einer Gesamtbetrachtung von energieeffizientem Bauen, einer ökologischen Wärmedämmung, dem Einsatz von erneuerbaren Energien sowie der Verwendung energieeffizienter Geräte.
Von großer Bedeutung sind dabei auch die regelmäßige Wartung und Renovierung, um einen guten Gebäudezustand mitsamt seiner technischen Infrastruktur zu gewährleisten. Dazu gehören unter anderem die Optimierung des Energieverbrauchs mit qualitativer Gebäudeautomatisation und entsprechendem Management.
Thema Kaltluftschneise: Wie können diese im Wohnungsbau mitgedacht werden?
Kaltluftschneisen sind natürliche oder künstlich geschaffene Flächen, die die inneren Stadtbezirke mit zirkulierender Luft versorgen. Weitere Infos zu Nürnbergs Kaltluftschneisen und ihrem Erhalt finden Sie unter anderem im Hitzeaktionsplan.
Generell sind beim Wohnungsbau viele Auflagen zu berücksichtigen: Neben dem Erhalt von Kaltluftschneisen wird auch der Schutz bzw. Ausgleich von Fauna und Flora sichergestellt. Diese wichtigen Auflagen dienen dazu, die Umweltbelastung zu minimieren, die Biodiversität zu erhalten und natürliche Lebensräume zu schützen. Hinzu kommen Baumschutzverordnungen und Auflagen, um den Grünbestand zu erhalten. Zudem werden differenzierte Umweltverträglichkeitsprüfungen und Umweltauflagen durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Bauprojekte die natürliche Umgebung möglichst wenig beeinträchtigen.
Diese Maßnahmen sind außerordentlich wichtig, um eine nachhaltige Entwicklung und den Erhalt der natürlichen Ressourcen zu fördern. Nürnberg ist hier sehr gut aufgestellt – auch dank der engen Verzahnung der einzelnen Referate untereinander. So konnte seit Beginn der Legislatur in 2020 einiges erreicht werden – unter anderem die Begrünungssatzung.
Fazit: Ein ganzheitlicher Wohnungsbau, der ökologische, soziale und ökonomische Komponenten berücksichtigt, trägt dazu bei, gesunde und angenehme Wohnräume zu schaffen. Vor allem in Städten wie Nürnberg, die bereits sehr dicht bebaut sind, gilt es umso mehr, klug abzuwägen, um eine gerechte Wohnungspolitik garantieren zu können.
Wie weit können wir in die Höhe bauen und warum ist das sinnvoll?
Hierzu gibt es klare Vorgaben seitens der Stadt. Generell muss oft die Entscheidung getroffen werden, ob zugunsten einer kleineren versiegelten Fläche eher in die Höhe gebaut werden soll. Hochhäuser haben zudem den Vorteil, dass sie vielseitige Wohnformen für unterschiedliche Personenkreise bieten und somit ein diverses Umfeld schaffen (Stichwort „vertikale Kieze“), indem sie Arbeits-, Wohn- und Freizeitwelten miteinander verbinden. Allerdings wird es ab einer gewissen Höhe teuer. Bei Hochhäusern (Höhe ab 22 Metern) gelten besondere Anforderungen und Lösungen für den baulichen, betrieblichen und anlagetechnischen Brandschutz, ebenso im Bereich der Alarmierungsanlagen, Sicherheitsbeleuchtung und Stromversorgung, aber auch bei den Betriebsvorschriften. (Hochhausrichtlinien).
Wir Grüne im Stadtrat sprechen uns für den Bau in die Höhe aus – jedoch unter den Voraussetzungen, dass sich das Haus gut in seine Umgebung integriert, sich an die vorhandene Baustruktur anpasst und die Grenze zum Hochhaus nicht überschreitet. Bauten bis zu maximal sieben bis acht Geschossen halten wir grundsätzlich für vertretbar.
Ein besonders gelungenes Beispiel und Vorbild für weitere Bebauung stellt das neue Quartier auf dem ehemaligen Firmengelände der N-Ergie an der Baader-/Hain-/Wilhelm-Späth-Straße dar. Hier wird das N-Ergie-Hochhaus in seinem Bestand ertüchtigt und somit erhalten. Zudem wird ein Zwillingsturm in Holzhybrid-Bauweise gebaut. Dabei vereinbaren die Gebäude nicht nur ökologisch-innovative Ansätze (Tiny Forest, Gemeinschafts-Dachgärten etc.), sondern verbinden auch soziale Aspekte (Senior:innen-Wohnheim, Kindertagesstätte etc.). Dieses Beispiel zeigt, dass es möglich ist, die vielschichtigen Anforderungen an Städtebau nachhaltig, ökologisch, sozial – und auch optisch sehr ansprechend – zu erfüllen.
Ihr Ansprechpartner:
Cengiz Sahin