Newsletter-Editorial Juni 2021

Liebe Freund*innen,

Dé­jà-vu – die Geschichte wiederholt sich: Wie im letzten Sommer drängen die Menschen nach draußen und manche lassen Abstand Abstand sein, auch sind die Menschen wieder mobiler. Dabei ist absehbar, dass die nächste von der sogenannten Delta-Variante getriebenen Infektionswelle zu uns schwappen wird, nur das Ausmaß ist unbekannt. Auch in Nürnberg sind bereits die ersten Fälle nachgewiesen. Gleichzeitig wurden im EM-Sportstudio die Fanaufläufe in London ohne Maske und Abstand sinngemäß mit „Ja, eigentlich weiß ich, dass das nicht geht, aber da geht mir doch das Herz auf!“ kommentiert.

Viele Menschen werden sich nach dieser langen Zeit nicht mehr einschränken wollen – viele können es nicht mehr, da sie sozial isoliert, finanziell am Ende oder ohnehin auf Unterstützung angewiesen sind:  Schüler*innen, die durch das Home-Schooling-Raster fallen, Menschen in schwierigen Lebenslagen, Solo-Selbstständige, Alleinerziehende, Senior*innen.

Diese widersprüchliche Gefühlslage wird die Herausforderung der Pandemiebekämpfung für den Herbst. Vor diesem Hintergrund laufen im Gesundheitsamt dauerhaft Vorbereitungen für eine mögliche neue Phase erhöhter Fallzahlen. Und wieder wissen wir nicht, was genau kommen wird, welche Regeln gelten werden. Es wäre, um im Fußball-Sprech zu bleiben, die Verlängerung der Verlängerung der Verlängerung, für meine Mitarbeiter*innen und mich. Dennoch bauen wir die bisherigen Leistungen weiter laufend aus, professionalisieren die Prozessabläufe. Auch, wenn dies mitunter in der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen wird:  diese Mitarbeiter*innen sind schon seit gut einem Jahr weit über ihre Grenzen gegangen und haben enorm viel geleistet – zum Beispiel:

  • Betreuung von 34.000 Positiv-Getesteten und 72.000 Kontaktpersonen
  • 130.000 beantwortete Anrufe der Corona-Hotline
  • 340 neu geschaffene Arbeitsplätze, u.a. in der Meistersingerhalle
  • 1400 Schulungen für Mitarbeiter*innen in der Kontaktnachverfolgung
  • 40-mal wurde eine Allgemeinverfügung zu Regelungen auf städtischer Ebene erlassen, verlängert oder geändert (z.B. Maskenpflicht, Alkoholkonsum)
  • 2000 Schreiben mit Ausführungsbestimmungen aus dem Bayerischen Gesundheitsministerium wurden laufend umgesetzt

Der öffentliche Gesundheitsdienst fristete – unterfinanziert wie er war – schon lange vor Corona ein Schattendasein. Gleichzeitig spielt er gerade in diversen Großstadtgesellschaften eine wichtige Rolle. Daher war glasklar: Prozesse und Strukturen im Nürnberger Gesundheitsamt müssen auf den Prüfstand.

Doch die pandemische Krisensituation war nicht der richtige Augenblick, alles auf den Kopf zu stellen, was wir doch besonnen und vernünftig modernisieren wollten. Ich habe mich bewusst entschieden, nicht an den Grundfesten des Amtes zu rütteln, sondern vielmehr fundierte Expertise und Unterstützung ins Amt zu holen: Die Corona-Prozesse wurden von der Unternehmensberatung Berger analysiert; neue Mitarbeiter*innen im Prozessmanagement, der IT sowie der Katastrophenschutz-erprobte Sicherheitschef des Flughafens eingestellt. Auch die TH Nürnberg stand uns zur Seite, zusammen konnten wir eine Containment-Datenbank aufbauen. Im Vorgriff auf den Pakt der Bundesregierung zur Sanierung der öffentlichen Gesundheitsdienste haben wir neue Stellen für Infektionsschutz und Hygiene geschaffen. Eine feste Pandemiestruktur, die auch in Zukunft, auch über Corona hinaus, genutzt werden kann, wurde geschaffen.

Problematisch bleiben jedoch die Engpässe im ärztlichen Bereich: Die Leitungsebene im Gesundheitsamt konnte verwaltungstechnisch nicht ausreichend von unten her entlastet werden, um sich auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren. Daher etablieren wir jetzt – als Lehre, die wir daraus ziehen – eine Doppelspitze für das Gesundheitsamt (medizinisch und kaufmännisch), die eine beidseitige Entlastung bringen soll. Darüber hinaus wird das Amt in der strukturellen „Tiefe“ gestärkt, insbesondere für Gefahrenlagen und Prävention. Es ist, das kann ich abschließend noch sagen, ein immenser aber auch gut laufender Lernprozess, den wir durch die Pandemie erfahren.

Eine zweite Debatte der letzten Zeit betraf die Veröffentlichung von Fallzahlen bzw. Inzidenzen aus den Stadtteilen. Die gemeinsame Linie der Nürnberger Stadtspitze war, die Zahlen nicht unkommentiert im Netz zu veröffentlichen. Ich hatte jedoch seit März mehrfach auf Nachfrage in der Presse Stellung genommen und auch dem Stadtrat in öffentlicher Sitzung berichtet.  
Wie auch in anderen Städten sind Menschen in sozial angespannten und dicht besiedelten Stadtteilen überproportional von Corona betroffen, besonders weil sie in den Wohnungen eng beieinander leben und da arbeiten, wo physische Präsenz gefordert wird (z. B. Pflege, Reinigung, Liefer-/Paketdienste, körpernahe Dienstleistungen). Ganz wichtig ist dabei, dass es schon „vorpandemisch“ einen Zusammenhang zwischen Gesundheit, sozialer Lage, Herkunft und Bildung gab: Corona ist eben kein Gleichmacher, das Virus verschärft viel mehr bestehende Ungleichheiten.

Doch es wurde und wird viel unternommen, um alle umfassend zu informieren, u.a. zwei groß angelegte fremdsprachige Kampagnen des Klinikum Nürnberg oder unsere muttersprachlichen Hygienelots*innen in Gemeinschaftsunterkünften, die einen speziellen Fokus auf Impf-Aufklärung und Information haben. Das Gesundheitsamt stellt außerdem gerade eine multilinguale Taskforce zusammen, die die Ansätze der Lots*innen ausbauen soll. Schwierig war im Lockdown dagegen die persönliche Ansprache, das merken wir beispielsweise bei Jugendlichen, da auch die offene Jugendarbeit lange flachlag.

Natürlich bin ich (auch) angewiesen auf die gute Zusammenarbeit und Unterstützung durch das Sozialreferat und der Kulturbürgermeisterin. Letztere ist schließlich über das Amt für Kultur und Freizeit eine entscheidende Playerin in der Integrations- und Diversitätspolitik. Dabei ist es eine von uns Grünen hochgehaltene Nürnberger Besonderheit, dass wir die unsere Stadtgesellschaft bereichernde Diversität und kulturelle Vielfalt wertschätzend und integrativ diskutieren. Gerade – und erst recht in Zeiten mit Corona!

Herzliche Grüße

Eure Britta