Schilld, das jede*n willkommen heißt unabhängig von Geschlecht, Religion, Alter etc.

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Offener Brief zum NZ-Kommentar „Stimme der Normalos“

In seinem Kommentar vom 8. Dezember 2021 schreibt Florian Heider, dass die Grünen für die eigene Klientel richtig viel herausgehandelt (haben): legales Kiffen, allerlei „Diversity“-Pflichten, viel Gewese um „queeres Leben“ und „Regenbogenfamilien“. Wer ein anderes Geschlecht haben will (…) kann sich freuen: Die Kosten der dafür nötigen Eingriffe trägt künftig die Allgemeinheit über die Beiträge zur Krankenversicherung (…). Für „Normalbürger“ sei im Ampel-Programm nicht viel drin.

Wir sind äußerst irritiert, dass nach 40 Jahren queerer Emanzipationsbewegung noch die Notwendigkeit besteht, Begriffe in Anführungszeichen zu setzen – haben sie doch längst den Weg in den täglichen Sprachgebrauch gefunden. Vor allem aber sind wir bestürzt, dass nach so langer Zeit noch immer eine Unterscheidung in „Normalbürger“ und denjenigen, die außerhalb dieser subjektiven Einordnung seitens Herr Heider stehen, stattfindet. Mit seinem Text tritt Herr Heider die Menschenrechte mit Füßen. Es macht uns fassungslos, dass dieser Text in einer Zeitung, deren Herausgeberfamilie das Preisgeld des Internationalen Menschenrechtspreises auslobt, erscheinen kann. In der Stadt des Friedens und der Menschenrechte wäre ein anderer Ton zu erwarten.

„Wer Mitglieder einer heteronormativen Mehrheitsgesellschaft als Normalos bezeichnet, der sieht queere Lebensstile automatisch als anormal an – und hat nicht im Blick, welchen Leiden vor allem homosexuellen Männer ausgesetzt waren. Erst 1994 wurde der Paragraph 175 endgültig gestrichen. Bis dahin war es ein weiter, schmerzhafter Weg. Dass wir heute die Ehe für alle haben und die neue Regierung weitreichende Verbesserungen für queere Menschen plant, ist dem jahrelangen Engagement zahlreicher Menschen zu verdanken – trotz schlimmster Anfeindungen, die mitunter bis hin zu Morddrohungen reichen“, so Uwe Scherzer, queerpolitischer Sprecher.

Wer als „Normalbürger“ jene nennt, die regulärer Beschäftigung nachgehen, keiner Randgruppe angehören und vielleicht gar in einer unbunten Vater-Mutter-Kinder(er)-Familie lebt, schließt nicht nur queere Personen aus, sondern auch Alte, Kranke, Behinderte, Arbeitssuchende, Singles, Migrant*innen, kinderlose Paare – die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Eine Gesellschaft funktioniert nach dem Solidaritätsprinzip und nicht danach, was als normal definiert wird. Dies ist vor allem eine unlösbare Aufgabe, denn ein allgemeingültiges Normal gibt es nicht – falls eine Definition überhaupt möglich ist.

Hinzu kommt, dass gewissen Bürger*innen und Gruppen Rechte abgesprochen wurden – und immer noch werden – die für andere selbstverständlich sind. Solidarität bedeutet Zusammenhalt, Loyalität und das Einstehen für die Rechte von jenen Mitbürger*innen, die in ihrem Alltag mit Vorurteilen sowie Diskriminierung konfrontiert sind und nur wenige Privilegien genießen.

Letztlich sollte es Konsens sein, dass jede*r Bürger*in Gerechtigkeit und Respekt erfährt. Wenn queere Personen mehr Rechte erhalten, dann bedeutet dies nicht, dass nicht-queere Menschen dadurch Rechte einbüßen. Wenn wir Alte und Kranke besser schützen, dann kommt dies auch den Jüngeren unter uns später zugute.

Der Kommentar von Herrn Heider verletzt viele Menschen, er reduziert sie, ihre Arbeit und ihr Engagement. Aktuell ist unser aller Leben durch Corona zusätzlich belastet und auch eine Spaltung der Gesellschaft deutlich spürbar. Deshalb brauchen wir den Zusammenhalt, aber auch das Verständnis füreinander mehr denn je. Je tiefer die Gräben sind, desto schwerer wird es, sich die Hände zu reichen.

Ihr*e Ansprechpartner*in:
Uwe Scherzer/Uschi Unsinn

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